Vor 90 Jahren – die Revolution von 1918/19

Erster Systemwechsel in der deutschen Geschichte des 20.Jahrhunderts …

Deutschland und damit auch Mecklenburg-Vorpommern haben „revolutionären Jubiläen“. Die „bürgerlich-demokratische Revolution“ von 1848/49 feiert ihren 160. Jahrestag, die „friedliche Revolution“ von 1989/90 führte vor fast 20 Jahren zum Sturz des SED-Regimes und die Revolution, der Umbruch 1918/19, fegte die Monarchie hinweg – die Folge war die Schaffung der „Weimarer Demokratie“ vor 90 Jahren.

Nachdem sich am 5./6. November 1918 Soldatenräte in Wismar, Rostock, Güstrow, Parchim und Neustrelitz gebildet hatten, besetzten aufständische Arbeiter öffentliche Gebäude und Einrichtungen. Die sozialdemokratischen Räte stellten zumeist reformistische Forderungen und hatten weniger revolutionäre Zielstellungen. Dazu gehörten die Forderung nach der Einführung des Rechts auf die Wahl eines Landtages nach dem Vorbild des alten Reichstagswahlrechts und das Frauenwahlrecht. Die einzelnen Arbeiter- und Soldatenräte wurden am 14. November 1918 dem „Zentralen Arbeiter- und Soldatenrat“ in Schwerun unterstellt, der demokratische Zielstellungen verfolgte.

Am selben Tag trafen die liberalen Reichstagsabgeordneten Hugo Wendorff und Hans Sivkovich – im Auftrag der Reichsregierung – in Schwerin ein. Sie traten in Verhandlungen mit Großherzog Friedrich Franz, dem Ministerium Deputierten der Arbeiter- und Soldatenräte.

Das alte Staatsministerium wurde daraufhin vom Großherzog entlassen und die Bildung eines neuen Staatsministeriums mit Angehörigen der Linken des Reichstages angekündigt.

Die neu gebildeten Staatsministerien wurden am 9.November – Schwerin – und am 11. November – Strelitz – vom Großherzog eingesetzt. In Schwerin hatte dieses parlamentarische Gremium sechs Mitglieder: Hugo Wendorff (Gutsbesitzer aus Pommern), Friedrich Stratmann (Nationalliberaler), Hans Sivkovich (pensionierter Pädagoge aus Lübtheen), Heinrich Dethloff (Vorsitzender des Schweriner Soldatenrates), Heinrich Erdmann (Vorsitzender des Arbeiterrates) und Franz Starosson (Chefredakteur der „Mecklenburgischen Volkszeitung“).

Ab Dezember 1918 wurde das USPD-Mitglied Ludwig Barbasch in dieses Gemium aufgenommen.

Ebenfalls sechs Mitglieder besaß das Ministerium in Strelitz: Otto Piper (Rechtsanwalt aus Neustrelitz), Hans Krüger (Soldat und Vorsitzender des zentralen Arbeiter- und Soldatenrates in Strelitz), Gustav Rühberg (Lehrer aus Neubrandenburg), Peter Stubmann (Mitglied des Reichstages), Paul Schaffer (SPD-Stadtrat aus Neustrelitz) und Friedrich Weber (Landgerichtsrat aus Neustrelitz).

Friedrich Franz dankte am 14. November 1918 ab und ging ins dänische Exil. Das Schweriner Ministerium erließ noch am gleichen Tag den „Aufruf an das mecklenburgische Volk“, in dem die parlamentarische Idee propagiert wurde. In den folgenden Monaten (bis März 1919) kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den mehrheitlich sozialdemokratischen Räten und den wenigen kommunistisch dominierten Räten in Mecklenburg. Letztere hatten in den radikalen Revolutionären unter der Führung von Hugo Wenzel eine zahlreiche Anhängerschaft. Die kommunistisch dominierten Räte forderten die Errichtung einer Diktatur des Proletariates und lehnten den demokratischen Parlamentarismus ab, was eine heftige Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten zur Folge hatte.

Sozialdemokratischer Abwehrkampf gegen den drohenden Bolschewismus

Der Bolschewismus als theoretische Idee wie als praktische Regierungsform in Gestalt der Diktatur des Proletariates wurde von den mecklenburgischen Sozialdemokraten entschieden abgelehnt. Die mecklenburgische SPD-Parteiorganisation verneinte die Leninistische Theorie vom revolutionären Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse mit der genannten Zielstellung einer Diktatur des Proletariate, als totalitäre Herrschaftsform nicht der Klasse, sondern der kommunistischen Partei.

Der mecklenburgische SPD-Fraktionsvorsitzende Carl Moltmann in Schwerin, nach 1945 dann jedoch „Vereinigungsbefürworter“ mit der KPD, wurde nach 1918 zu einem Wortführer gegen die „spartakistisch“-kommunistischen Revolutionspläne. Dabei attackierte er die Kommunisten scharf: „Eine soziale Gesellschaft lässt sich nur dann verwirklichen, wenn die Mehrheit des Volkes dafür reif ist. Das haben wir hundertmal gesagt, eher wollen wir den Sozialismus nicht, wir wollen den Sozialismus nicht gewaltsam … Die deutschen Kommunisten woll(t)en das hochindustrielle Deutschland nach einem Modell verändern, das in einem unterentwickelten Agrarland (in Russland) entstanden war. Sie wollten in einem Land, das 1918 seit immerhin einem halben Jahrhundert das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht und damit ein Stück Demokratie kannte, eine Parteidiktatur bolschewistischen Typs errichten, was einen drastischen Verlust an Freiheitsrechten für die ganze Bevölkerung bedeutet hätte.“

Das bestimmende Motiv für die Sozialdemokraten in Mecklenburg hinsichtlich einer Machterringung war eine demokratische Legitimation durch eine Bevölkerungsmehrheit – bei einer reformorientierten Politik.

Zwar verlief in beiden Teilen Mecklenburgs die Gewährung demokratischer Rechte bis 1918 sehr zurückhaltend, doch während das ständische Herrschaftssystem durchaus demokratische Konturen besaß, war das wirtschaftlich rückständige, zum Teil autarke Russland ein Staat mit einer despotischen Regierungsform. Gerade die Oktoberrevolution unter Führung der bolschewistischen Partei in Russlands hatte für die mecklenburgischen Kommunisten eine Vorbildwirkung.

Eine grundsätzlich konträre Meinung hatten die Sozialdemokraten auch zur Rolle der Partei zu gesellschaftlichen Veränderungen. Die kommunistischen Wortführer in Mecklenburg, u.a. Herbert von Meyenburg, vertraten die Meinung, dass „die Initiative zur Revolution einer (kommunistischen) Partei entspringen müsse“. Dagegen betonten die Sozialdemokraten, dass gesellschaftliche Veränderungen (Reformen)  „aus der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung eines Volkes, aus der Unzulänglichkeit einer Regierung … geboren werden“.

Zudem waren die Sozialdemokraten mehrheitlich im Schweriner Bezirk der Meinung, dass „eine Partei, die zu gesellschaftlichen Veränderungen führen will, keine Klassen-, sondern eine Volkspartei sein muß, um die Mehrheit der Bevölkerung auch tatsächlich vertreten zu können“.

Auch in dieser Frage grenzen sich die Sozialdemokraten klar und deutlich von den Kommunisten ab, welche die Auffassung vertraten, dass „nur eine avantgardistische, kommunistische Partei zur Führung einer Revolution fähig sei“. Revolutionäre Gewalt zur Liquidierung kapitalistischer Verhältnisse lehnten die mecklenburgischen Sozialdemokraten rigoros ab, da „diese nur Konterrevolutionen hervorrufe“.

Wohin es führt, wenn soziale Bewegungen nicht die Kraft und die Substanz haben, sich erfolgreich gegen eine Konterrevolution zu erwehren, sprach Carl Moltmann während einer Landtagsverhandlung 1925 an: „Und was war die Folge, dass man in dieser Weise in der großen französischen Revolution, wie sie (die Kommunisten) es heute betreiben, vorging ? Die Folge war die Monarchie Napoleons. Das ist die Folge der Unvernunft der Masse gewesen das ist die Folge gewesen, dass sich unvernünftige Führer an die Spitze stellen konnten. Und gegen dieses Chaos kämpfen wir an. Und nun vergleichen Sie die deutsche Revolution mit der russischen Revolution ! Und wenn Sie vergleichen, dann stellen Sie fest – jeder objektiv Denkende muß das zugeben -, an dem Wege der französischen Revolution hängen Tausende, Millionen Arbeiterköpfe, die durch die Guillotine gefallen sind. Und dann gehen Sie nach Russland ! Auf russischen Gefängnishöfen, in den russischen Sandwüsten und in den russischen Dörfern liegen nicht nur Hunderttausende, sondern Millionen standrechtlich erschossene Männer aus dem russischen Volke“.

Die Sozialdemokraten, nicht nur in Mecklenburg, sondern in ganz Deutschland, sahen ihren Hauptgegner, ja Todfeind, in der kommunistischen Bewegung. Insbesondere die führenden Kommunisten in der KPD-Landtagsfraktion für Mecklenburg-Schwerin, z.B. Kollwitz, von Meyenburg und Wenzel, malten ein überschwängliches Bild der russischen Revolution. Den mecklenburgischen Sozialdemokraten warfen sie indes vor, eine Stütze der kapitalistischen Verhältnisse zu sein. Durch diese kommunistische Propaganda verstand sich die SPD Mecklenburgs – wie die SPD in ganz Deutschland – als Retter und Beschützer vor dem Kommunismus.

Führende mecklenburgische Sozialdemokraten, wie z.B. Carl Moltmann, Johannes Stelling, Albert Schulz, Franz Starosson, Carl Schneeberg oder Albert Kruse, stimmten mit der Aussage des ersten deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert aus dem Jahre 1919 völlig überein: „Auch gegen den mit neuer Kraft von Osten anstürmenden Bolschewismus wird Deutschland weiterhin einen Damm bilden, dessen Bruch nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa und die ganze Welt in der bolschewistischen Flut ertränken würde. Dieses sollten sich unsere (bolschewistischen) Feinde gesagt sein lassen und ihre Politik danach einrichten“. Und die Zeitung der mecklenburgischen SPD „Das freie Wort“ (05/1919) urteilte über die russische Oktoberrevolution 1917 und deren Folgen: „Die bolschewistische Revolution würde zumindest für Deutschland unabsehbares Unglück im Gefolge haben“.

Die mecklenburgischen Sozialdemokraten setzten in ihrer Argumentation gegen die Kommunisten die soziale Demokratie, als Ergebnis langjähriger, weit reichender Reformen, und den Bolschewismus, als spezifisch russisches Herrschaftssystem, einander gegenüber. Von den Sozialdemokraten wurde der Bolschewismus als totalitäre Herrschaft einer Minderheit, als Diktatur einer Partei, verstanden.

Carl Moltmann oder auch Albert Schulz unterstützten daher die Auffassungen der SPD im Reich in der Bewertung der russischen Oktoberrevolution, die der Sozialdemokrat Eduard David 1919 zum Ausdruck brachte: „Dass die deutsche Revolution nicht dem Beispiel der russischen gefolgt ist, dass sie nicht wie dort ein blutiges Chaos, zur völligen Auflösung von Recht und Ordnung, dass sie nicht in Deutschland wie in Russland zur furchtbarsten Zerrüttung alles politischen und wirtschaftlichen Lebens geführt hat, das ist zum Teil Verdienst des Mannes (des Sozialdemokraten und Reichswehrministers Gustav Noske), den Sie heute an die Spitze des Reiches berufen haben“.

Die starre Haltung der Kommunisten in der Problematik der Bewertung der russischen Oktoberrevolution, ihr Hass und ihre Propaganda gegen die Sozialdemokraten und ihre Bejahung der revolutionären Gewalt machte sie zum Hauptgegner für die Sozialdemokraten.

Diese sahen sich in der Übereinstimmung mit den liberal-konservativen Kräften in der Ablehnung eines revolutionären Weges zur Umwandlung der Gesellschaft: „Noske ist ein Mann, der aus dem Volke hervorgegangen ist und der bisher viel (gegen die revolutionäre Linke) geleistet hat. Er hat Kiel befreit, hat Berlin gesäubert und in München Ordnung geschaffen, ebenfalls in Leipzig. Im Grunde genommen ist es ganz gleich, wenn er nur ein tüchtiger aufrechter Mensch ist, ob Sozialdemokrat oder konservativer Mann, dann fragt man nicht nach der Parteizugehörigkeit“. (Magnus Knebusch, konservativer Abgeordneter, im verfassungsgebenden Landtag 1919)

Die führenden mecklenburgischen Sozialdemokraten um Carl Moltmann, Albert Schulz, Albert Kruse, Karl Moritz oder Robert Brinkmann lehnten eine Kooperation oder gar Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei ab.

Marko Michels

F.: Aus „Einheitszwang oder Einheitsdrang …“ (Fallstudie mit Dokumenten-Anhang / 3), FES (1), P.S./privat (1) / Foto 1: Johannes Stelling, der frühere Ministerpräsident in Mecklenburg-Schwerin., Foto 2: Carl Moltmann, SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag Mecklenburg-Schwerin., Foto 3 und 4: SPD-Wahlkampf-Plakate in der Weimarer Republik., Foto 5: Albert Schulz, der legendäre Rostocker Sozialdemokrat.

> Veranstaltungsempfehlung: am 6./7.November – Tagung „Die Revolution 1918/19. Fast vergessen – 90 Jahre danach.“ im Rostocker InterCityHotel (Veranstalter, Koordination: Universität Rostock, Historisches Institut / Friedrich-Ebert-Stiftung).

1 Kommentar zu „Vor 90 Jahren – die Revolution von 1918/19“

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