Zwischen München 1972 und Peking 2008

Erfolgreiche Neubrandenburger Kanu-Flotte bei Olympia

Olympia und Kanu-Rennsport „Made in Neubrandenburg“ – das ist seit genau 40 Jahren eine Erfolgsgeschichte. Diese fing 1972 auf der olympischen Regattastrecke in Oberschleißheim-Feldmoching an. Seinerzeit hatte Ilse Kaschube für die erste Olympia-Medaille im Kanu-Rennsport für den SCN gesorgt, als sie Silber im Kajak-Zweier über 500 Meter mit Petra Grabowski hinter dem UdSSR-Duo Ludmilla Pinajewa/Jekaterina Kurischko gewann.

Weitere Erfolge in Montreal

In Montreal 1976 wurde diese Bilanz dann eindrucksvoll erweitert. Im Kajak-Zweier (Herren) über die 500 Meter gewannen Bernd Olbricht (SC Neubrandenburg) und Joachim Mattern (SC Berlin-Grünau) Gold vor der UdSSR und Rumänien. Im Kajak-Einer (Herren) über 1000 Meter triumphierte Rüdiger Helm (SC Neubrandenburg) vor Geza Csapo (Ungarn) und Vasile Diba (Rumänien) und im Kajak-Einer über 500 Meter siegte Carola Zirzow (Jahrgang 1954/SC Neubrandenburg) vor der Russin Tatjana Korschunowa und Klara Rajnai (Ungarn).

Die anderen Olympia-Medaillen im Kanu-Rennsport 1976 sicherten sich: Bernd Olbricht (mit Joachim Mattern) im Kajak-Zweier über 1000 Meter mit Silber, Rüdiger Helm im Kajak-Einer über 500 Meter mit Bronze, noch einmal Rüdiger Helm (mit Frank-Peter Bischof, Bernd Duvigneau, Jürgen Lehnert) im Kajak-Vierer über 1000 Meter mit Bronze und Carola Zirzow sowie Bärbel Köster (wie Carola Zirzow Mitglied des SCN) im Kajak-Zweier über 500 Meter mit Bronze.

Auch in der sowjetischen Hauptstadt mit Medaillen

Und auch bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau gab es viel Grund zum Jubeln im Lager der SCN-Kanuten. Rüdiger Helm wurde Erster im Einer-Kajak über 1000 Meter, im Zweier-Kajak über 500 Meter holten Bernd Olbricht/Rüdiger Helm Bronze und im goldenen DDR-Vierer-Kajak über 1000 Meter waren ebenfalls Rüdiger Helm und Bernd Olbricht vertreten.

Andreas Dittmer mit dreimal Gold nach 1990 – Gold 2008 auch für Martin Hollstein.

1984 durften auch die SCN-Kanuten wegen des Olympia-Boykotts der meisten realsozialistischen Länder nicht in Los Angeles starten. 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona konnten die SCN-Kanuten dann leider kein olympisches Edelmetall erringen, aber 1996 änderte sich das schon wieder:

Andreas Dittmer fischte das olympische Edelmetall aus dem Wasser: Gold im C 2 über 1000 Meter 1996 in Atlanta, Gold im C 1 über 1000 Meter 2000 in Sydney, Bronze im C 1 über 500 Meter ebenfalls in Sydney, Silber im C 1 über 1000 Meter 2004 in Athen und Gold im C 1 über 500 Meter ebenfalls in Athen. Stefan Uteß erpaddelte zudem 2000 in Sydney Bronze im C 2 über 1000 Meter.

Für den vorläufigen olympischen Schlusspunkt aus SCN-Sicht sorgte 2008 in Peking Martin Hollstein mit Gold im Zweier-Kajak über 1000 Meter. Aber die Allererste, die olympisches Kanu-Rennsport-Gold für den SC Neubrandenburg erkämpfte, ist Carola Zirzow, verheiratete Drechsler.

Nachgefragt bei Carola Drechsler, geborene Zirzow
Carola Drechsler über ihre aktive Zeit, erlittene Widrigkeiten und neue Hoffnungen …

„Olympia war für mich etwas ganz Großes …“

Frage: Frau Zirzow, Sie waren 1976 die Sportlerin, die den ersten Olympiasieg für Neubrandenburg gewann. Wie erlebten Sie die Wettkämpfe 1976?

Carola Drechsler: Für mich als junge DDR Sportlerin waren die Olympischen Spiele in Montreal etwa ganz Großes. Ich hatte mich zwar für den olympischen Kajak-Einer qualifiziert, was aber noch lange nicht hieß,  diesen auch wirklich bei der Olympiade „paddeln“ zu können. Wir hatten nämlich noch vier Wochen vor den Spielen in Kanada ein Trainingslager, in dem es für mich dann täglich darauf ankam, bei allen Trainings-Rennen als Erste ins Ziel zu kommen. Erst danach wurden endgültig die Boote und die Besatzung festgelegt. Als ich dann als Kajak-Einer-Fahrerin fest nominiert wurde, fiel eine große Last von mir.

Die Wettkämpfe an sich waren für mich ja nichts Ungewöhnliches, da die Konkurrenz faktisch die gleiche wie bei allen Weltmeisterschaften war. Mit diesem Gedanken bin ich dann auch in den Wettkampf gegangen, um die Nervosität zu bekämpfen. Mir war im tiefsten Inneren schon bewusst, dass ein Olympia-Start etwas ganz besonderes ist und man nur alle vier Jahre diese Chance bekommt. Daher war ich sehr erleichtert, als ich dann am Ende wirklich als Erste die Ziellinie überquerte. Freuen konnte ich mich dabei am Anfang noch gar nicht so richtig. Ich war einfach nur froh und glücklich, alles geschafft und damit alle Erwartungen erfüllt zu haben.

Frage: Wie war die Stimmung bei Olympia 1976 in Montreal? Konnten Sie zumindest ein wenig von Land und Leuten mitbekommen?

Carola Drechsler: Von der Stadt Montreal haben wir gar nichts gesehen – einmal abgesehen von der Regattastrecke und der Fahrt dorthin. Wir konnten uns auch nicht selbstständig und frei bewegen. Ich glaube im Rückblick sagen zu können, dass wahrscheinlich auf jeden Sportler auch ein Stasi-Mitarbeiter kam, der wirklich alles bestens unter Kontrolle hatte.

Außerdem durften wir auch beim olympischen Abschluss-Ball mit keinem „fremden“ Sportler sprechen bzw. tanzen. … Im Gegenteil: Nach der offiziellen Ansprache musste das DDR-Team die Veranstaltung geschlossen verlassen. Wir hatten auch während der Wettkämpfe keine Gelegenheiten zu “ freundschaftlichen “ Gesprächen mit anderen Sportlern aus aller Welt, wie es ja jetzt die Regel ist.

Frage: Wie verlief – in der Rückblende – der Gold-Wettkampf seinerzeit für Sie?

Carola Drechsler: Fast vierzig  Jahre nach den Spielen kann ich sagen, dass ich kein Jahr meiner sportlichen Karriere bereue. Der Sport hat mich zu einer gewissen Persönlichkeit geformt. Mir hat meine aktive leistungssportliche Zeit riesigen Spaß gemacht, und ich fand mich beim SC Neubrandenburg mit meinem Trainer und mit meinen Trainingskollegen gut aufgehoben. Ich hatte damals keine Ahnung von den ganzen Stasi-Machenschaften.

Sicherlich war nicht jeder Tag gleich schön … Man hat auch geschimpft und sich im Schilf versteckt, weil man einfach keine Lust zum Trainieren hatte, aber die ganzen Erfolge waren dann doch ein schöner Lohn. Ich bin erst jetzt so richtig stolz auf meinen Olympiasieg, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man genau zum richtigen Zeitpunkt fit ist. Ich glaube in der DDR hatte das noch eine größere Bedeutung als heute. Damals fiel man nämlich ohne Gnade durch das leistungssportliche „Raster“ …

Frage: Nach 1976 mußten Sie Ihre sportliche Laufbahn auf Betreiben einiger DDR-Sportfunktionäre beenden, da sie seinerzeit mit dem italienischen Erfolgskanuten Oreste Perri befreundet waren. Was überwiegt mehr als 35 Jahre danach – Freude über den Olympiasieg oder Verbitterung angesichts der Ungerechtigkeit, die Ihnen widerfuhr?

Carola Drechsler: Einiges habe ich dazu ja schon angesprochen. Rund vierzig Jahre nach meinem ungewollten Karriere-Aus sehe ich diese Frage mit ganz anderen Augen. Damals bin ich natürlich in ein ganz tiefes Loch gefallen. Man hat mir von heute auf morgen gesagt, dass meine sportliche Laufbahn beendet ist. Das hieß auch, dass ich seinerzeit mein Physiotherapie-Studium abbrechen musste (Anmerkung: Ich wollte später im Sport tätig werden.). Ich habe dann im damaligen Energie-Kombinat angefangen zu lernen und bin dann auch bis 1992 dort geblieben. Zusätzlich bildete ich mich dort mit einem Studium weiter.

Da ich ja sportlich nicht mehr so aktiv war – außer einem unkontrollierten Abtrainieren – war ich froh, meinen späteren Mann kennen gelernt zu haben. Zu meinen aktiven leistungssportlichen Zeiten hätte ich dafür gar keine Zeit gehabt.

Frage: Und … Sind Sie heute noch sportlich aktiv? Was machen Sie beruflich?

Carola Drechsler: Ich arbeite seit 1993 bei meinem Mann in der HNO-Praxis als Arzthelferin.
Da ich immer noch bei Neubrandenburg wohne und wir den schönen Tollense-See mit der Lieps und einen wunderschönen Radweg haben, fahre ich fast täglich meine Runde um den See. Das sind circa 40 Kilometer. Am Wochenende kommt mein Mann mit oder wir packen unsere Räder ins Auto und dann geht es nach Waren – um die Müritz oder in andere schönen Radwander-Gebiete. Wettkampfmäßig mache ich aber heute gar nichts mehr. Weiterhin wandern wir beide sehr gerne in der Natur oder joggen. Ich bin also immer noch „irgendwie“ aktiv.

Dann weiterhin alles Gute für Sie und Ihre Familie

M. Michels

Übrigens: Ende April feiert der SC Neubrandenburg seinen 50. Geburtstag.